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Das Ende des Schweigens

Die Mexikanische Armee und das Acteal Massaker von 1997

News vom 20.08.2009
von Kate Doyle · National Security Archive, Bericht Nr. 283
übersetzt von Dana

  Washington, D.C., 20. August, 2009. Während in Mexiko die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes debattiert wird, die Verurteilung von 20 Angeklagten zu verwerfen, die mutmaßlich an der Ausführung des Acteal Massakers beteiligt waren, werfen neulich deklassifizierte Dokumente der U.S. Defense Intelligence Agency (DIA) neues Licht auf die Rolle der mexikanischen Armee bei der Unterstützung paramilitärischer Gruppen in Chiapas zur Zeit dieser Morde. Die vertraulichen Telegramme bestätigen Berichte über die Unterstützung des Militärs für bewaffnete indigene Gruppen, die Angriffe gegen pro-zapatistische Gemeinden in der Region ausführten, und eröffnen neue wichtige Details. Damit wird auch eine Frage wieder aufgeworfen, die seit fast 12 Jahren unbeantwortet geblieben ist: wann wird die Armee über ihre Rolle in Acteal die Wahrheit sagen.

Seit dem brutalen Angriff vom 22. Dezember 1997 hat die mexikanische Regierung unzählige Versionen über die Verstrickungen der Armee in der konfliktreichen Zone von Acteal in Chiapas im Umlauf gebracht, Das Problem ist, dass die Berichte stets unvollständig oder falsch gewesen sind. Das Wichtigste an den DIA Dokumenten ist es, dass sie dem offiziellen Bericht über das Massaker, wie es von der Regierung des damaligen Präsidenten Ernesto Zedillo dargestellt wurde, direkt widerlegen.

In dem Bericht "Libro Blanco Sobre Acteal" [* Das Weißbuch über Acteal], der in 1998 von dem damaligen mexikanischen Generalstaatsanwalt Jorge Madrazo veröffentlicht wurde, versicherte die Regierung: "Die Mexikanische Generalstaatsanwaltschaft hat die Existenz von Gruppen bewaffneter Zivilisten im Bezirk von Chenalhó dokumentiert, die weder von der Mexikanischen Armee noch von irgendeiner anderen Regierungsstelle organisiert, gegründet, ausgebildet oder finanziert worden sind, deren Leitung und Organisation jedoch einer internen Logik folgen, die von der Konfrontation mit zapatistischen Unterstützungsbasen zwischen und innerhalb der Gemeinden bestimmt wird. (S.32)

Ein Telegramm des U.S.-Büros des Verteidigungsattachés in Mexiko an das DIA Hauptquartier in Washington, vom 4. Mai 1999, erwähnt jedoch die "direkte Unterstützung" der Armee für bewaffnete Gruppen in der Hochlandzone von Chiapas, wo die Morde stattfanden. Das Dokument beschreibt ein geheimes Netzwerk von "Human Intelligence Teams (HUMINT)" [* Teams von Geheimdienstagenten]", die Mitte 1994 mit Zustimmung des damaligen Präsidenten Carlos Salinas gegründet wurden, und inmitten indigener Gemeinden arbeiteten um Informationen über zapatistische "Sympathisanten" zu sammeln.

Zur Unterstützung anti-zapatistischer bewaffneter Gruppen gewährten diese Teams "Training und Schutz vor Verhaftungen durch Polizei und Militärpatrouillen in der Region." Obwohl dieses Telegramm in 1999 verfasst wurde, wies der Verteidigungsattaché sorgfältig darauf hin, dass die militärischen Geheimdienstoffiziere die bewaffneten Gruppen auch in 1997 beaufsichtigten. Das Dokument macht Details verfügbar, die in den vielen Erklärungen der Mexikanischen Armee, die auf den Angriff folgten, niemals erwähnt wurden. Die Human Intelligence Teams, erklärt der Verteidigungsattaché, setzten sich hauptsächlich aus jungen Offizieren zusammen, die im Rang eines zweiten oder ersten Hauptmanns standen, sowie ausgesuchte Feldwebel, die die Dialekte der Region beherrschten. Die HUMINT Teams bestanden aus drei bis vier Personen, die bestimmten Gemeinden zugeordnet wurden, um sie für einen Zeitraum von drei bis vier Monaten zu bespitzeln. Nach Ablauf von drei Monaten wurden die Offiziere der Teams nach anderen Gemeinden in Chiapas versetzt. Grund für die Versetzungen nach drei Monaten war die Sorge um die Sicherheit des Teams.

Die Defense Intelligence Agency machte diese Dokumente für das National Security Archive in 2008 auf eine Anfrage unter dem Informationsfreiheitsgesetz hin verfügbar (Ein Antrag für zusätzliche Aufzeichnungen wird derzeit bearbeitet.) Das Informationsmaterial wurde von DIA Vertretern in Mexiko zusammengestellt, Attachéoffiziere der US Verteidigung, deren Aufgabe darin besteht Informationen über die mexikanischen Streitkräfte zu sammeln und an das Hauptquartier in Washington zwecks Analyse zu übermitteln. Die Analyse wird dann von der Regierung beim Entwurf der nationalen Sicherheitspolitik in Mexiko herangezogen. Die Agency dient als Augen und Ohren des U.S. Verteidigungsministers im Ausland, sozusagen eine Art CIA des Pentagons.

Die "interne Logik" stellt sich somit als die Logik des Militärs heraus, in Form einer sorgfältig geplanten Aufstandsbekämpfungsstrategie, die zivile Aktionsprogramme - vom Verteidigungsministerium häufig in Presseerklärungen angepriesen, - mit Geheimdienstoperationen kombiniert, die dazu dienen die Paramilitärs zu stärken, und Konflikte gegen EZLN Unterstützer zu provozieren.

In den fast 12 Jahren seit dem Massaker, ist es Menschenrechtsgruppen, Journalisten und Forschern gelungen Bruchstücke der wahren Tatsachen über die Abschlachtungen von Acteal aufzudecken, aber ohne jegliche Hilfe offizieller Transparenz. Anträge auf Regierungsinformationen unter dem Mexikanischen Informationsfreiheitsgesetz (http://www.infomex.org.mx/), wie jene, die letztes Jahr vom National Security Archive eingereicht wurden - treffen nur auf grundsätzliches Schweigen. Die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft weist den Antragsteller hilfreich auf ihren Bericht von 1998 hin. Das Innenministerium antwortet mit einer Kopie seines öffentlichen Kommuniques, das fünf Tage nach dem Massaker veröffentlicht wurde, und "Ergriffene Maßnahmen" im Acteal Fall zusammenfasst. Der mexikanische Nachrichtendienst antwortet, keine Kontrolle über militärische Akten zu haben, und somit keine Dokumente. Und die Armee? "Nach gewissenhafter Suche in den Archiven unserer Behörde", schreibt diese Institution an das National Security Archive, "konnte die angefragte Information nicht lokalisiert werden".

Noch verstörender vielleicht als das vermeintliche Nichtvorhandensein von Dokumenten im Verteidigungsministerium, ist die Antwort des Präsidentenbüros auf Anfragen über Acteal. Die Beauftragten von Präsident Felipe Calderón wiesen uns an, in den Präsidialarchiven des Nationalarchivs nach Dokumenten über das Massaker zu suchen. Das taten wir. Wir fanden viele. Sie befinden sich alle in der Sektion "Unbearbeitete Dokumente", wo Briefe, Telegramme und andere Formen von Beschwerden mexikanischer Bürger schon seit Jahren unbeantwortet dahinsiechen. Die Mitteilungen, die nach dem 22. Dezember 1997 aus allen Bundesstaaten Mexikos sowie von internationalen Menschenrechtsgruppen und akademischen Institutionen zusammenströmten, bekunden Wut, Verzweiflung und Verurteilungen des Angriffs. Sie beinhalten auch spezifische Klagen, die von Einwohnern von Chiapas über Vorfälle von Gewalt, Stromkürzungen und Landergreifungen erhoben werden: potentielle Ansätze für weitere Ermittlungen der Regierung in den Konflikt, der diese Region zerstört.

Die Rufe nach Aufmerksamkeit, die an das höchste Oberhaupt des Landes gerichtet wurden, sind unbeantwortet geblieben. Sie wurden routinegemäß als unbearbeitete Dokumente ausgezeichnet, und können heute von jedem Forscher eingesehen werden, der sich die Mühe macht in den Nationalarchiven nachzusehen.

Bis die gegenwärtige Regierung beschließt ihrer Pflicht nachzukommen, die Bürger ihres Landes über die Wahrheit des Massakers von 1997 zu informieren, werden sich die Forderungen der Bevölkerung nach Fakten in den unbearbeiteten Dokumenten verlieren. Und uns wird nichts anderes übrig bleiben, als uns auf U.S. Informationen über die Mexikanische Armee und Acteal zu verlassen.


Dokumente:

Dokument 1 (http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB283/acteal_01.pdf)

31. Dezember, 1997
Mexikanische Militärpräsenz verschärft sich nach Massaker in Chiapas
Defense Intelligence Agency, Geheimdienstbericht

In diesem schwer zensierten Telegramm an das DIA Hauptquartier in Washington, vom 31. Dezember 1997, beschreibt das U.S.-Büro des Verteidigungsattachés in Mexiko die Truppenentfaltung der Mexikanischen Armee in der Konfliktzone von Chiapas. Geheime und Öffentliche Quellenberichte zitierend, weist das Dokument darauf hin, dass Präsident Ernesto Zedillo nach dem Massaker vom 22. Dezember an 45 indigene Tzotzil Männer, Frauen und Kinder, Tausende neuer Truppen in die Region entsendete, zusammen mit anderen Einheiten, die "bereit stehen um im Fall eines Aufstandes zu assistieren".

Quelle: Freigegeben an das National Security Archive unter dem Informationsfreiheitsgesetz (Freedom of Information Act)
FOIA Antrag Nr. 38,435, freigegeben in Februar 2008

Dokument 2 (http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB283/acteal_02.pdf)

4. Mai, 1999
Militärverstrickung mit paramilitärischen Gruppen in Chiapas
Defense Intelligence Agency, Geheimdienstbericht

In einem Telegramm an das DIA Hauptquartier in Washington, vom 4. Mai 1999, weist das U.S.-Büro des Verteidigungsattachés in Mexiko auf die "direkte Unterstützung" der Armee für bewaffnete Gruppen in der Hochlandzone von Chiapas, wo die Morde von Acteal stattgefunden haben. Das Dokument beschreibt ein geheimes Netzwerk von "Human Intelligence Teams," die Mitte 1994 mit Zustimmung des damaligen Präsidenten Carlos Salinas gegründet wurden, und inmitten indigener Gemeinden Informationen über zapatistische "Sympathisanten" sammeln.

Quelle: Freigegeben an das National Security Archive unter dem Informationsfreiheitsgesetz (Freedom of Information Act)
FOIA Antrag Nr. 38,435, freigegeben in Februar 2008

 Quelle:  
  http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB283/index.htm 
 

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